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Was ist ein Trauma?

von | 25.08.2023 | 2 Kommentare

Bei der Beantwortung der Frage “Was ist ein Trauma?” begegnet mir immer wieder, dass Menschen den Begriff Trauma zwar kennen, er aber oft falsch gefüllt ist. Die Idee, ein Trauma müsse immer ein katastrophales Ereignis sein, ein schwerer Unfall, Gewalt, Vergewaltigung, Naturkatastrophen und ähnlich furchtbare Geschehnisse, ist nur teilweise richtig. Natürlich können solche Ereignisse hochtraumatisch sein, aber es sind auch andere, viel alltäglichere Erfahrungen potenziell traumatisch.
Auf dieser Seite gebe ich dir eine Definition von Trauma, die sich mit den vielseitigen Dimensionen des Begriffs befasst.

Trauma-Definition: Annäherung an den Begriff

Wenn wir über Trauma reden, meinen wir oft Ereignisse, die uns überwältigt haben und bei denen wir uns hilflos gefühlt haben. Diese Definition hat heutzutage schon Risse bekommen, weil nicht alle Geschehnisse, die uns potentiell traumatisieren können, von Hilflosigkeit geprägt sind.

Es kann sein, dass ich mich einer Operation unterziehe und diese Operation von meinem Körper als traumatisch empfunden wird. Plötzlich entwickeln sich danach posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), die ich mir nicht erklären kann, weil ich sie überhaupt nicht mit dem Ereignis (hier: der Operation) in Verbindung bringe.
Auch beim Thema sexuelle Gewalt (gerade auch gegen Kinder) ist der Übergang zu dem, was als traumatisch empfunden wird, oft fließend. Der Täter schleicht sich häufig ein. Er ist sehr nett, streichelt das Kind, manchmal genießt das Kind die Aufmerksamkeit bis zu einem bestimmten Grad auch und trotzdem hat die Handlung eine traumatische Auswirkung.

Wir können nicht immer voraussagen, welche Ereignisse für uns traumatisch sind, weil sie nicht für jeden Menschen die gleichen Folgen haben. Es hängt damit zusammen, in welchem Zustand wir uns gerade befinden und wie sich das Ereignis auf unseren Körper auswirkt; und dabei gar nicht unbedingt auf unseren Verstand.

Trauma-Kategorien: Vielseitige Ursachen für seelische Verletzungen

Im Folgenden möchte ich dir unterschiedliche Arten von Traumata vorstellen. Zu verstehen, wie vielfältig die Ursachen von Traumatisierungen sind, bringt uns der Antwort auf die Frage “Was ist ein Trauma?” ein ganzes Stück näher.

Schocktrauma

Wenn wir über Trauma sprechen, meinen wir im Normalfall ein Schocktrauma. Darunter versteht man ein singuläres, belastendes Ereignis, das hilflos macht, überwältigend ist und keinerlei Möglichkeiten mehr bietet, mit der Situation umzugehen.

Das kann z. B. ein Autounfall sein (und dabei spielt es keine Rolle, wie schwer dieser Unfall war), Stürze aller Art, Zahnarztbesuche, plötzliche Trennungen, Scheidungen. Diese und ähnliche Ereignisse können zum Schocktrauma führen. Leider ist das noch viel zu wenig bekannt. Viele Menschen haben Symptome und können sich einfach nicht erklären, woher sie kommen.

Noch komplexer wird das Ganze, wenn wir uns Entwicklungstrauma betrachten.

Entwicklungstrauma

Der Begriff Entwicklungstrauma hat sich noch nicht ganz durchgesetzt. Die Fachwelt, die sich lange überwiegend mit Schocktrauma beschäftigt hat, stellt mehr und mehr fest, dass nicht alle Symptome, die bei Menschen auftauchen, auf einen Schock zurückzuführen sind. Vielmehr erkennt sie oft viel tiefere und ältere Traumatisierungen, die eine völlig andere Wirkung in Körper und Psyche hinterlassen. Sie erstrecken sich über einen längeren Zeitraum, weil wir in unserer Kindheit belastenden Situationen noch viel weniger entfliehen können als im Erwachsenenalter. Auch hier gilt wieder: Es muss keine Katastrophe gewesen sein, um Trauma-Symptome nach sich zu ziehen.

Es kann sein, dass wir eine Mutter hatten, die sich nicht auf uns einstellen konnte, die selbst viel Angst hatte oder keine Zeit, die uns stundenlang hat schreien lassen, weil sie glaubte, Kinder soll man nicht zu oft stillen oder verzärteln. Auch Kinder depressiver oder narzisstischer Mütter können ein Entwicklungstrauma ausbilden.

Sekundärtrauma

Wenn wir betrachten, was ein Trauma ist, darf auch das Sekundärtrauma nicht unerwähnt bleiben. Dieses betrifft die Menschen, die anderen in Notsituationen helfen oder ZeugIen von traumatischen Ereignissen werden, z.B. NotärztInnen, RettungshelferInnen, PolizistInnen, Feuerwehrleute, TherapeutInnen, aber auch zufällige ZeugInnen von Gewalt oder anderen furchtbaren Ereignissen.

Soziales Trauma

Unter einem sozialen Trauma versteht man ein traumatisches Ereignis, das viele Menschen betrifft. Dies können zum Beispiel Zugunglücke, Terroranschläge oder Kriege sein. Also Geschehnisse, bei denen viele Menschen beteiligt sind und sich eine breite, soziale Auswirkung zeigt.

Wenn wir plötzlich eine uns nahe Person verlieren, sich jemand aus unserem Leben verabschiedet, kann das für uns sehr schlimm sein.

Transgenerationales Trauma

Das transgenerationale Trauma ist in Deutschland durch die Kriegskinder-Generation bekannt geworden. Menschen, also unsere Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern, die den Krieg erlebt haben, reagierten mit Verdrängung oder Abspaltung und haben diese traumatische Situation selten verarbeitet. Eine Folge davon war, dass sie häufig für ihre Kinder nicht sehr empathisch waren, da ein aufgeschlagenes Knie nun mal nicht so schlimm ist wie im Bombenkeller zu sitzen und Todesangst zu haben.

Über Familienstellen und andere systemische Therapien ist das Thema Transgenerationales Trauma sehr viel mehr in den Blickpunkt gerückt.

Was also ist ein Trauma – Definition von Peter Levine

Ich möchte hier eine Trauma-Definition von Peter Levine anführen:

– zu viel, zu schnell, zu plötzlich –

Es gibt viele Definitionen, die Ereignisse benennen oder die versuchen zu beschreiben, was passiert sein muss, damit ein Geschehnis als Trauma definiert wird. Dies funktioniert so nicht, weil tatsächlich ein Ereignis für die eine Person traumatisch sein kann und für eine andere Person wiederum nicht.

Dies hängt von unserem Zustand ab, der Stabilität unserer Lebensumstände, den Ressourcen, über die wir verfügen und der Regulationsfähigkeit unseres Nervensystems.

Was empfinde ich als traumatisch: Zur Rolle des autonomen Nervensystems

Die Schwingung eines gesunden Nervensystems

Um Traumata zu verstehen, werfen wir einen Blick auf unser autonomes Nervensystem: Dieses besteht aus einem sympathischen und einem parasympathischen Zweig. Beide sind in einer antagonistischen Schwingung zueinander, wie eine Schaukel. Die Schwingung erfolgt entweder zur einen oder zur anderen Seite. Die sympathische Seite ist dafür zuständig, uns zu erregen. Alles, was mit Erregung und Wachheit zu tun hat, geht auf diesen Zweig zurück. Der parasympathische Teil ist für jede Form von Beruhigung zuständig.

Das Toleranzfenster

Die Schwingungen des sympathischen und parasympathischen Zweigs finden normalerweise im sogenannten Toleranzfenster statt. Man kann sich dies bildlich vorstellen als zwei Grenzen, zwischen denen die Amplitude des Nervensystems in relativ gleichmäßigen Wellen zwischen oberer und unterer Grenze schwingt.
Der Abstand zwischen den beiden Grenzen gibt an,

  • wie viel Spielraum wir in unserem Nervensystem haben,
  • wie stressresistent wir sind,
  • wie viel Freude, Glück und Erregung wir aushalten, ohne gestresst zu sein.
  • Je weiter diese Grenzen voneinander entfernt sind und je größer diese Amplitude ist, desto stressresistenter und meistens auch glücksfähiger sind wir. Die Weite des Toleranzfensters (Window of Tolerance) entwickelt sich hauptsächlich in den ersten drei Lebensjahren durch die Beziehung und Zuwendung der Eltern oder Bezugspersonen.

    Das autonome Nervensystem bestimmt zum großen Teil auch unseren psychischen Zustand. Menschen mit einem engen Toleranzfenster reagieren in ungewöhnlichen Situationen schnell mit Stress oder Überforderung. Manche mögen sich nicht einmal verlieben, weil der Körper in eine Erregung versetzt wird, die er nicht mehr regulieren kann und auf die er mit Symptomen reagiert.

    Schon bei der Geburt kann die Größe des Toleranzfensters eingeengt werden. Menschen mit einer schweren Geburt, Menschen, die ungewollt waren oder deren Mütter während der Schwangerschaft großen Stress hatten, haben bereits dadurch ein sehr empfindsames Stresssystem. Es springt sehr viel schneller an als bei jemandem, der eine gute, schöne, ruhige und natürliche Geburt hatte.

    Man hat Babys über ein paar Jahre hinweg beobachtet, immer wieder den Stresspegel gemessen und festgestellt, dass die empfindsame Stressachse des Kindes weiter bestehen bleibt, selbst wenn die Eltern entspannt und freundlich sind. Nun kann man sich vorstellen, welche Auswirkungen es auf die Amplitudenweite hat, wenn die Eltern nicht empathisch sind, sich nicht auf das Kind einstellen können oder ihm sogar mit Ablehnung begegnen: Sie bleibt sehr gering, die interne Stressachse im Körper springt schnell an. Das hat natürlich Folgen für das Lebensgefühl eines Menschen.

    Was geschieht bei Gefahr in unserem Körper?

    Diese Grundvoraussetzung, wie unser Nervensystem geprägt ist, ist also in uns angelegt.

    Wenn wir uns einer außergewöhnlichen Bedrohung ausgeliefert sehen, wie bei einem Schocktrauma definiert, schießt die Erregung über die Grenzen unseres Toleranzfensters hinaus. Gefahr ist hier als etwas hoch Subjektives zu sehen. Manchmal erkennt nicht einmal unser Verstand etwas als Gefahr, sondern unserer Körper reagiert darauf und die Amplitudenweite geht über die Grenze des Fensters hinaus.

    Körperliche Reaktionen bei traumatischen Ereignissen

    Bei Erregung – als akuter Belastungsreaktion – werden im Körper Adrenalin und Kortisol ausgeschüttet, Herzschlag und Blutdruck erhöhen sich. Die kleinen Blutgefäße unter der Haut schließen sich, damit man bei Verletzungen nicht stark blutet. Die Leber schüttet die Zuckervorräte aus, damit der Körper mehr Energie zur Verfügung hat. Insulin wird in dem Augenblick gehemmt, damit der Zucker nicht sofort wieder abgebaut wird. Die großen Muskelgruppen erhöhen den Tonus, während die Skelettmuskulatur eher weniger Bedeutung hat. Die Pupillen werden weit und wir bekommen einen Tunnelblick. Die inneren Organe wie Magen und Darm werden wenig durchblutet, weil sie in dem Augenblick nicht gebraucht werden. Das könnte erklären, warum viele Menschen, die sehr gestresst sind, auch Magen-Darm-Probleme haben.

    Der Kampf- und Fluchtreflex

    Mit diesen Reaktionen macht sich unserer Körper bereit, um zu kämpfen oder zu fliehen. Je nachdem, was wir tun, stellt unser Körper die Energie dafür bereit.

    Ein Bespiel: Ich laufe in Kanada durch den Wald und es knackt im Gehölz. Die erste Reaktion meines Körpers ist, mich zu dem Geräusch hinzuorientieren. Ich stelle fest, um was es sich handelt. Jetzt erst entscheide ich, was zu tun ist. Diese Entscheidung treffe ich nicht mit meiner Persönlichkeit, sondern mit den älteren Regionen meines Gehirns. Höchstwahrscheinlich fällt die Entscheidung zugunsten einer Flucht aus, weil ein Kampf mit dem Bären aussichtslos ist.

    Die Erstarrung

    Wenn der Bär mich einholen sollte, wird mein Körper wahrscheinlich kollabieren, da Gegenwehr sinnlos ist. Der Körper geht in einen Zustand des „Shutdown“. Das heißt, alle Energie geht plötzlich aus dem System, aus dem Körper heraus und ich erstarre.

    Es gibt zwei Arten von Erstarrung, die große Unterschiede in Bezug auf die Traumafolgen für uns h.

    • Bei der erregten Erstarrung bleibt viel Energie in meinem Körper, aber ich kann mich nicht mehr bewegen. Die Energie ist im Nervensystem gebunden. Diesen Zustand nennt man hyperton.
    • Wenn die Überwältigung längere Zeit andauert, erschlaffe ich, ich werde hypoton. Wenn ich komplett erschlaffe, gebe ich auf, ich gebe mich auf. Ich gehe in einen Zustand der inneren Abspaltung, der Dissoziation genannt wird. In neuester Zeit wird auch der Begriff “Fawn Response” genannt: Menschen können in diesem Zustand verbleiben, wodurch ihr Leben davon geprägt ist, “lieb” sein zu wollen, damit niemand “böse” auf sie wird.

    Jemand hat mal über Dissoziation gesagt, sie sei die Gnade der Natur, beim Sterben nicht dabei sein zu müssen. – Wir dissoziieren in diesem Augenblick, wir stehen neben uns, wir spalten uns regelrecht von uns selbst ab. Man kann das nicht wirklich erklären.
    Viele Menschen beschreiben das als ein Nahtoderlebnis. Sie beobachten sich, sind aber nicht mehr mit sich assoziiert, fühlen die Schmerzen nicht mehr, die Zeit verschiebt sich. Sie fühlen sich als Zuschauende in der eigenen Situation.

    Eine erlebte Dissoziation ist das wahrscheinlichste Vorzeichen dafür, nach der Situation Symptome zu entwickeln, weil unser Nervensystem vollkommen aus dem Tritt gerät.

    Amplitude eines traumatisierten Nervensystems

    Wir sehen hier, wie ein Nervensystem nach einer Traumatisierung funktioniert. Wir haben die Eingangsschwingung, die noch innerhalb der beiden Grenzen des sogenannten Toleranzfensters liegt. Geschieht ein traumatisches Ereignis, verhält es sich wie bei einem Haus mit einer 220 Volt Stromanlage, in das ein 10 000 Volt Blitz einschlägt.

    Amplitude eines Nervensystems nach Trauma

    Das ganze Haus ist mit Strom überflutet und am höchsten Punkt fliegen die Sicherungen heraus. Das Nervensystem eines Menschen reagiert genauso. Wir können nur ein bestimmtes Maß an Erregung, Schock und Angst bewältigen, dann fliegt die interne Sicherung heraus. Wir ergeben uns, handeln nicht mehr, erstarren.

    Das Problem ist, dass das Nervensystem anscheinend keinerlei Stoppsignal bekommt, dass die Situation beendet ist. Das bedeutet, die Menschen bleiben in der Situation stecken. Der Verstand weiß vielleicht, dass die Situation vorüber ist. Aber der Körper bekommt kein Signal, wieder herunterzufahren. So bleiben Menschen sehr häufig in einem übererregten Zustand stecken. Sie befinden sich immer am oberen Ende oder über der Grenze des Toleranzfensters.

    Wenn sie erschöpft sind, wechselt das Nervensystem in einen untererregten, hypotonen Zustand. Das Gefühl ist dann: Ich kann nicht mehr, ich bin müde, ich will nicht mehr, das macht alles keinen Spaß, ich fühle mich vollkommen erledigt und ich habe überhaupt keine Energie mehr.

    Symptome und Traumafolgen

    Jetzt schauen wir uns noch die Trauma-Symptome an. Auf die bekannten Symptome, die häufig diagnostiziert werden und in den psychiatrischen Handbüchern stehen, gehe ich nicht näher ein. Dennoch möchte ich sie kurz nennen.
    Es zählen dazu :

    • Hypervigilanz (ständige Übererregung)
    • Flashbacks (Erinnerungen, die mich einholen, als würde ich die Situation noch einmal erleben)
    • Zwangsstörungen

    In meiner Praxis sind sehr viel häufiger die subtilen Symptome, von denen viel mehr Menschen betroffen sind. Es ist oft eine Mischung von Ereignissen des Lebens. Ich glaube nicht, dass irgendjemand durch sein Leben gehen kann, ohne ein traumatisches Ereignis zu erleben. Ebenso spielt die Grundstressresistenz, die von Geburt an feststeht, eine Rolle.

    Symptome bei Untererregung

    Betrachten wir das untere Ende dieser Amplitude, gibt es bestimmte Symptome, die wir erleiden, die unser Leben begleiten.

    Häufig ist das eine Depression. Viele Depressionen sind meiner Ansicht nach falsch diagnostiziert. Sie sind eher eine Folgeerscheinung von Trauma als eine echte Depression. Andere Symptome sind Erschöpfung, Kraftlosigkeit, Lustlosigkeit, sehr häufig auch Dissoziation, also in andere Welten zu flüchten. Essen hilft immer, egal ob wir oben oder unten sind. Häufig ist auch: sich mit Alkohol zu betäuben, zu rauchen, sich emotional taub zu fühlen, ein Gefühl von Sinnlosigkeit zu haben und vor allem das Gefühl von anderen Menschen abgeschnitten zu sein, sich anders und fremd zu fühlen und sehr häufig eben auch in seinem tiefen inneren Kern einsam zu sein.

    Symptome bei Übererregung

    Am oberen Ende haben wir das Gegenteil. Da befinden wir uns immer in einem sympatikotonen Zustand, also in höchster Spannung. Daraus resultiert häufig Schlaflosigkeit.

    Viele Menschen berichten, sie sind todmüde, legen sich ins Bett und schlafen sogar ein. Dann wachen sie wieder auf, sind hellwach und können nicht mehr einschlafen.

    Das ist ein Symptom von einem sympatikotonen Nervensystem, was einfach nicht zur Ruhe kommen kann. Deswegen trinken viele abends ihr Bier oder ein, zwei Gläser Wein, damit sie sich etwas entspannen können. Essen hilft auch hier zum Beruhigen ebenso Rauchen.

    Häufig ist hier das Gefühl einer inneren Unruhe. Frage ich Klient*innen, ob sie einfach mal auf der Couch sitzen und nichts tun, schauen mich viele mit fragenden Augen an. Wie, auf der Couch sitzen und nichts tun? Diese Möglichkeit kommt für sie nicht vor. Sobald sie zur Ruhe kommen, nehmen sie die innere Anspannung wahr und beschäftigen sich, damit sie ihre Unruhe nicht spüren.

    Konzentrationsschwierigkeiten sind oft damit verbunden. Manche bekommen Angst und Panikzustände oder haben Panikattacken. Viele haben Schwierigkeiten, sich zu entspannen.

    Manche haben Wutanfälle, sobald die Erregung zu groß wird. Sie regen sich schnell auf, weil sie alles auf sich beziehen. Sie sitzen ständig auf diesem Potential der Erregung. Menschen haben die Angewohnheit, Gründe für ihr Befinden zu projizieren und im Außen zu suchen. Sie beschuldigen häufig ihre Mitmenschen, an ihrem Zustand schuld zu sein.

    Hyperaktivität bei Kinder, aber auch bei Erwachsenen. Sexsucht kann eine Folge sein, weil es mal kurzzeitig beruhigend wirkt. Sprunghaftigkeit, man springt von einer Idee zur anderen und kann nirgendwo richtig bleiben. Man hat das Gefühl, man kommt nirgendwo richtig an.
    Schreckhaftigkeit und der Hang zu Dramen gehören ebenfalls zu den Symptomen auf dieser Seite.

    Resilienz und Ressourcen

    Die Wirkung eines Ereignisses hängt mit dem Grundzustand einer Person zusammen. Die Größe des Toleranzfensters gibt die Resilienz einer Person an. Unter Resilienz versteht man die psychische Widerstandsfähigkeit, also wie viel jemand aushalten und bewältigen kann, ohne aufzugeben.

    Der Begriff kommt ursprünglich aus der Werkstoffforschung und beschreibt, wie sehr sich ein Werkstoff biegen lässt und danach wieder in den Ursprungszustand zurückkehrt, ohne sich zu verbiegen oder zu brechen.

    Entscheidend für die Resilienz sind die Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen. Das sind all die Dinge, die uns Kraft und Stabilität geben. Geld, Bildung, Arbeit, Fähigkeiten, Talente, Freunde, Gemeinschaft.

    Die zwei größten Ressourcen sind zum einen Beziehungen, und zwar nicht nur die Liebesbeziehung, sondern ein Beziehungsgeflecht aus Freunden und sozialen Kontakten, und zum anderen der Glaube an eine Sinnhaftigkeit der Welt, des Lebens.

    Dadurch fällt es uns leichter, schreckliche Ereignisse in unser Leben einzuordnen und ihnen einen Sinn zu geben. Es ist für uns wesentlich schwerer auszuhalten, wenn wir intern in einer Welt es Zufalls leben, wo alles bedeutungslos ist.

    Auswirkungen von Traumata: Die Achterbahn

    Wenn sich Betroffene in einem traumatischen Kreislauf befinden und das Nervensystem ständig zwischen Über- und Untererregung hin und her schwankt, fühlen sich viele wie in einer Achterbahn. Sie fühlen sich in einem Zustand von Erschöpfung und Anspannung gefangen und kommen da nicht raus.

    Sobald wir über das Toleranzfenster hinaus in die Erregung gehen, sind wir in dem Bereich von Flucht und Kampf. Das ist für unser soziales Leben oft nicht förderlich, weil wir in dieser Spannung sehr viel reizbarer sind. Wenn wir uns innerhalb des Fensters bewegen, sind wir besser im Kontakt mit uns und anderen Menschen. Wir können besser reflektieren, wir können besser sozial interagieren.

    Dasselbe gilt, wenn wir in der Untererregung sind. Hier fehlt uns oft die Fähigkeit, wirklich Nein zu sagen, für unseren Raum zu sorgen, unsere Grenzen zu setzen und mit unseren Bedürfnissen klar zu sein.

    Was unser Gehirn damit zu tun hat: Der Überlebensinstinkt

    Warum es so schwierig ist, aus diesem traumatischen Kreislauf auszusteigen, liegt an unseren Überlebensinstinkten. Diese haben die Fähigkeit, die Kontrolle über unser Handeln zu übernehmen. Das tun sie oft sehr viel schneller, als wir es überhaupt wahrnehmen. Und sie tun es nicht nur, wenn wir Angst fühlen, sondern immer, wenn unser Hirnstamm, der älteste Hirnteil, Gefahr in Verzug meldet. Dieser scannt den ganzen Tag die Umgebung und sucht nach Übereinstimmung mit früheren Erlebnissen. Wir können fast nichts dagegen tun, wenn der Hirnstamm Gefahr meldet.

    Das ist auch gut so, weil wir sonst fast alle schon tot wären. Wenn wir einen Schatten auf uns zu fliegen sehen, reißen wir instinktiv den Kopf weg oder springen zur Seite, bevor wir wissen, was dieser Schatten überhaupt ist.

    Es ist die Aufgabe des Stammhirns für unser Überleben zu sorgen und die basalen Körperfunktionen zu regulieren. Da Überleben immens wichtig für uns ist, hat dieser älteste Hirnteil die Erlaubnis des ganzen Menschen – das ist natürlich keine bewusste Erlaubnis – einzugreifen und die anderen, die jüngeren Hirnteile, für kurze Zeit zu dominieren und so für unser Überleben zu sorgen.

    Ist ein Mensch aber traumatisiert, springen dieses Überlebensszenario und diese Überlebensreaktion oft in Situationen an, wo sie eigentlich nicht hingehören und wo sie vielleicht auch viel zu früh passieren. Das ist ein großes Dilemma für uns.

    Die drei Hirnregionen

    Unser Gehirn besteht aus drei großen Teilen. Im Stammhirn, 500 Millionen Jahre alt, sitzen die Instinkte und Reflexe. Nach 300 Millionen Jahren entwickelten sich das Limbische System und damit auch unsere Emotionen, Bindung, Zugehörigkeit. Erst vor 100 000 Jahren kam der Neokortex dazu. Dort sitzt der Verstand: die Fähigkeit für abstraktes und konkretes Denkens und somit der Teil, auf den wir so stolz sind.

    Diese Systeme sind zum Teil unabhängig voneinander geblieben. Das kann erklären, warum wir so widersinnige Dinge tun. Wir wissen, was gesund ist, aber wir tun etwas anderes. Wir wissen, dass wir nicht ausflippen sollten, aber wir tun es trotzdem. Das hat damit zu tun, dass der Verstand nur sehr beschränkt Zugriff auf die Gefühlswelt, geschweige denn auf die Instinktebene hat.

    Wenn ein Hirnteil übernimmt

    Man nennt es ein „Bottom up highjacking“, wenn die älteren Hirnteile übernehmen und unser Verhalten steuern. Das kann für nur ein paar Sekunden sein. Das reicht oft schon, um jemanden völlig aus der Spur zu bringen. Wenn z.B. eine Frau irgendwo sitzt, ein Freund sich ihr nähert und ihr die Hand auf das Bein legt, dann ist dies vermutlich freundschaftlich gemeint. Ihr Stammhirn hat aber gespeichert, dass jede Art von Berührung wahrscheinlich mit einem sexuellen Übergriff endet. Die Frau wird ganz starr und dissoziiert sofort. Diese Reaktion hat für sie weitreichende und frustrierende Folgen.
    Dies kann sich auf viele unterschiedliche Situationen und Reaktionen beziehen und wir bekommen es kaum mit unserem Verstand geregelt.

    Alles, was wir von unserem Verstand her tun, nennen wir ein „Top down Management“, also von oben nach unten. Das funktioniert nur sehr eingeschränkt, vor allem, wenn es um Bereiche wie Angst oder Trauma geht.
    Deswegen ist z.B. Gesprächstherapie bei Trauma nicht sehr hilfreich. Im Gegenteil: Wenn Therapeut*innen wenig Wissen über Traumatherapie haben und ihre Klient*innen das Trauma erzählen lassen, macht es das oft nur schlimmer. Jedes Mal, wenn sie sich an das Trauma erinnern und davon erzählen, erleben sie es noch einmal. Das ruft wieder Dissoziationen hervor oder sie werden von Gefühlen überschwemmt. Beides ist nicht heilsam.

    (In meinem Blog erfährst du auch, worauf du bei der Suche nach einem geeigneten Traumatherapie-Therapeuten achten musst.)

    Wie Traumaintegration gelingen kann

    Ein traumatisches Ereignis wird meist begleitet durch ein immenses Gefühl von Verlust. Dieser Verlust kann unterschiedliche Formen haben, oft werden einfach die verlorene Zeit und die nicht genutzten Möglichkeiten, die das Leben hätte bieten können, betrauert. Sehr häufig findet sich ein Verlust von Sinn und dem Gefühl zu einer Gemeinschaft zu gehören. Gerade bei frühen Traumatisierungen gibt es viele Menschen, die mit einem „Alien“-Gefühl aufwachsen und sich immer als getrennt von anderen wahrnehmen.

    Einer der größten Verluste ist der Verlust von Sicherheit und das Herausfallen aus den Selbstverständlichkeiten des Lebens. Man hat erfahren, dass das Leben sich plötzlich verändern kann. Dies kann mit einem anhaltenden Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit verbunden sein. Dazu kommt, dass durch Entwicklungstrauma oftmals die Fähigkeit, Hilfe zu suchen und anzunehmen, nicht vorhanden ist. Dadurch wird das Gefühl von „außen vor sein“ noch verstärkt.

    Gleichzeitig ist aufkommende Trauer oft auch ein Begleitzustand von therapeutischen Erfolgen. Onno van der Hart drückt dies wie folgt aus:

    „Klienten empfinden Trauer nach jedem therapeutischen Fortschritt. Trauer ist die Brücke zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.“

    Eine Traumatisierung ist allerdings nicht nur von Verlust begleitet, sondern auch von „Gewinn“. Diese bezeichnet man mit dem Namen „Traumatic Growth“ (traumatisches Wachstum). Hierunter versteht man, dass traumatische Erfahrungen Menschen auch wachsen lassen, ihnen ein tieferes Verständnis für sich selbst und die Welt geben. Oftmals werden Menschen sensibler für sich und andere und offener für die verschiedenen Dimensionen des Seins.

    Im besten Fall ist ein traumatisches Ereignis wie ein Tor, während unserer persönlichen Heldenreise. Ein Tor, das wir durchschreiten können, um zu mehr Integrität, Wissen und Weisheit zu gelangen. In allen schamanischen Traditionen wird Trauma als eine Möglichkeit der Initiation in eine andere Welt gesehen und gehört zum Lebenslauf aller Schamanen.

    Eine geglückte Traumaintegration erkennt man daran, dass die Betroffenen:

  • mit angemessener Gefühlsbeteiligung über das Ereignis erzählen können
  • dabei nicht dissoziieren, d.h. mit sich verbunden bleiben
  • nicht von Erinnerungen und Gefühlen überrollt werden, d.h. innerhalb des Toleranzfensters bleiben
  • dem Geschehenen einen Platz in der Vergangenheit zuweisen können
  • dem Geschehenen einen Sinn geben können
  • nicht mehr von dem Geschehene kontrolliert werden, sondern wieder wählen können, wie sie ihr Leben gestalten wollen.
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    2 Kommentare

    1. Guten Tag ist Interesse bin ich immer wieder auf Dein er Seite unterwegs
      Sind deine Fortbildung en anerkannt von einer Therapeutenkammer für die Fortbildungspunkte.
      Herzliche Grüße Peter

      Antworten

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